Zurück zur Website

Plattform-Ökonomie in der Immobilienwirtschaft

Veröffentlicht im Verbändereport 09/2018

Von Hamidreza Hosseini und Dr. Holger Schmidt

Plattformgeschäftsmodelle wie Alphabet, Alibaba, Amazon, Tencent oder Netflix rücken seit einigen Jahren aufgrund ihrer Marktkapitalisierung und ihrer Marktmacht ins Licht der Öffentlichkeit. Sieben der zehn wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt arbeiten als Plattformen. Der Schwerpunkt liegt zwar weiterhin in den USA, aber chinesische Plattformen sind ebenfalls auf dem Weg an die Weltspitze. Europa hat unter den 70 größten Plattformen nur einen Wertanteil von 4 Prozent. Ein Aufholprozess ist trotz steigenden Interesses bisher nicht zu erkennen. Die Plattformgeschäftsmodelle sind dabei, die ökonomischen Prinzipien sowie das Interaktions- und Kommunikationsverhalten der Märkte und der Unternehmen grundlegend zu ändern.

broken image

Es ist wichtig, das komplexe Prinzip hinter den Plattformmodellen zu verstehen. Denn einfache ökonomische Plattformen gab es bereits in der analogen Welt. Auf Marktplätzen treffen sich seit vielen Jahrhunderten Käufer und Verkäufer; beispielsweise bringen Zeitungen Leser und werbetreibende Unternehmen zusammen. Viele Nachfrager, also Käufer und Leser, locken dabei viele Anbieter (Verkäufer oder Anzeigenkunden) an. Neu an den digitalen Plattformen ist der Fokus auf Interaktionen zwischen den beiden Seiten des Marktes, die Einnahmen aus den Interaktionen (Netzwerkeffekte), ihre globale Dimension und geringen Transaktionskosten durch die Nutzung der digitalen Technik.

Diese ökonomischen und betriebswirtschaftlichen Effekte liegen vor allem in einer Änderung der Marktmechanismen, was in der Regel zu einer Verlagerung der Handelsplätze und damit auch des Kapitals führt. Das Ergebnis sind erhebliche Verschiebungen des Wohlstands, vor allem in die Länder der Plattformbetreiber wie die USA oder China. Denn mit jeder Transaktion, mit jedem Buchkauf bei Amazon, jeder Taxifahrt mit Uber oder jeder Wohnungsmiete bei AirBnB fließt ein Teil der Transaktionssumme direkt in die Kassen der Plattformbetreiber.

Durch diese Verlagerung hat sich seit einigen Jahren eine Marktmetastruktur der Plattformökonomie neben den klassischen Marktmechanismen etabliert. Seit 2014 etabliert sich die dritte Generation der Plattformökonomie. Charakteristiken – zusätzlich zu den Eigenschaften der ersten Generation (Marktplätze mit Angebot und Nachfrage ohne intelligente Interaktionen) und der zweiten (Share Economy: Fokus auf intelligente Interaktionen zwischen Angebot und Nachfrage bzw. Teilung von Ressourcen, Kapazitäten und Fähigkeiten) – sind vor allem die vollständige Monetarisierung der Informationen entlang der informationsökonomischen Kriterien, die Analyse dynamischer Ecosysteme und die Ableitung neuer Ansätze für die Ausgestaltung der Ecosysteme sowie Netzwerkeffekte auf Basis komplementärer Allianzen. Durch die Nutzung der Informationsökonomie, dynamischen Ecosysteme und Allianzen existieren keine monothematischen Einschränkungen. Damit sind horizontale, vertikale und laterale Diversifizierungen weitaus einfacher zu etablieren. Die Plattformen der dritten Generation sind damit in der Lage, neue Märkte zu modellieren und bestehende Mechanismen zu verändern. Sie haben vor allem einen starken Fokus auf die Generierung von Netzwerkeffekten durch mehr Partner sowie deren Kunden.

Praxisbeispiel: Plattformökonomie in der Immobilienwirtschaft

Plattformgeschäftsmodelle besitzen die Kraft, nach dem Handel, den Medien oder der Reisebranche auch in der Immobilienwirtschaft für tektonische Verschiebungen zu sorgen. Die Digitalisierung ist an der Immobilienbranche bisher weitgehend vorbeigegangen. Zwar führen Marktplätze wie Immobilienscout die Anbieter und Nachfrager schon seit vielen Jahren erfolgreich zusammen, doch signifikante Verschiebungen der Wertschöpfung sind in der Branche bisher ausgeblieben. Das könnte sich mit einer neuen Generation digitaler Plattformen wie WeWork, Realconnex und Immofred sowie frischer Konzepte wie „Co-Working“, „Space-as-a-service“ oder die Nutzung von Data und Analytics nun ändern.


Der Angriff der Plattformen auf das Geschäftsmodell trifft auf eine unvorbereitete Branche, die bisher kaum digitale Köpfe rekrutiert oder ausgebildet hat, wie eine Studie des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) und der Beratungsgesellschaft EY Real Estate zeigt. Wie hoch der Nachholbedarf ist, zeigt ein zweites Ergebnis der Studie: Zwei Drittel der Teilnehmer nennen eine fehlende unternehmensübergreifende Digitalisierungsstrategie als Hürde für Innovationen. Die meisten Branchen in Deutschland sind inzwischen deutlich weiter. In der Immobilienwirtschaft existieren jedoch technische und ökonomische Rahmenbedingungen, die gute Grundlagen für den Aufbau eines Plattformgeschäftsmodells darstellen.

  1. Rechtlicher Rahmen: Die rechtlichen Auflagen sind geprägt von einem komplexen Rechtsrahmen, der die Marktteilnehmer, ihre Interaktionen und Transaktionen schützen soll. Die branchenbezogenen Entscheidungen setzen weitgehende Kenntnisse und Berücksichtigung dieser Auflagen voraus.
  2. Werthaltigkeit: Immobilien stellen hohe Werte über eine längere Lebensdauer dar. Aus dem Grund sind die Projekte von hoher finanzieller und zeitlicher Tragweite geprägt. Diese Faktoren erfordern Entscheidungen, die vorausschauend und verantwortungsvoll sind.
  3. Heterogenität: Sowohl der Markt als auch die Objekte sind teilweise sehr heterogen. Bei den Immobilien spielen Lage, die Art und Weise des Baus und Equipments wichtige Rollen.
  4. Wechselwirkungen: Sowohl die Rolle als Anlageobjekte als auch ihre Finanzierung führt die Immobilienbranche zu der Wechselwirkung mit den Finanzmärkten. Der Umgang mit Immobilien setzt hohe Anforderungen an das Denken in Zusammenhängen, das betriebs- und volkswirtschaftliche Aspekte berücksichtigt.

Aus der Regulatorik und den Aufgabenschwerpunkten lassen sich Plattformansätze rund um die Funktionsbereiche und das Immobilien-Ökosystem ableiten:

  1. Funktionsbereich Grunderwerb. Wesentliche Player sind private Eigentümer, Eigentümergemeinschaft, kommunale Eigentümer und institutionelle Eigentümer.
  2. Funktionsbereich Planung und Genehmigung. Akteure sind die Stadtplaner, Kommunen, Bauaufsicht, Architekten, Bauingenieure, Haustechniker, Projektsteuerer und Facility-Manager.
  3. Funktionsbereich Erstellung, geprägt vom Bauträger, von Bauindustrie, Bauhandwerk und dem Bauproduktehersteller.
  4. Funktionsbereich Bewirtschaftung, deren Protagonisten die Vermittlung (Immobilienmakler), Vermietung und Verwaltung, Instandhaltung/Modernisierung, Versorgung/Entsorgung, Reinigung/Sicherung und Facility-Management betreiben.
  5. Funktionsbereich Entsorgung mit Akteuren wie Abrissunternehmen, Baustoffverwerter, Deponiebetreiber und Entsorgungsunternehmen.
  6. Funktionsbereich Finanzierung, getrieben von Geschäftsbanken, Hypothekenbanken, Versicherungen, Bausparkassen, Immobilienfonds, der öffentlichen Hand und Privatpersonen.

Diese Möglichkeiten können beim Aufbau eines Plattformgeschäftsmodells angewandt werden. Wendet man die Lehren aus erfolgreichen Plattformmodellen anderer Industrien in der Immobilienwirtschaft an, zeigt sich eine enorme Chance. Gerade Plattformen der dritten Generationen ermöglichen vielseitige Interaktionen zwischen den beiden Seiten des Marktes. Eine Plattform könnte Strukturherausforderungen bezüglich wichtiger Schwerpunkte der Immobilienbranche effizient lösen. Dazu gehören der Austausch von Daten in Bezug auf Qualität und Struktur sowie die flexible Integrierbarkeit von Software.

Grundsätzlich sind folgende einzelne oder komplementäre Möglichkeiten beim Aufbau von Plattformen möglich:

  1. Etablierung von Allianzen, die im Rahmen von Aufgaben oder Lebenszyklen von Immobilien auf der Plattform ihre Ressourcen, Kapazitäten und Fähigkeiten teilen.
  2. Etablierung von Services- und Produktallianzen auf der Plattform, die horizontale (Wertschöpfung), vertikale (segmentbezogene Aspekte) oder laterale (Mix aus horizontal und vertikal) Sortimentsgestaltung ermöglichen.
  3. Etablierung von Kooperations- und Kollaborationsallianzen mit dem Fokus auf die Verlagerung von Marktanteilen im Immobilienmarkt und Handelsvolumen aus dem klassischen Geschäft in das Plattformgeschäft, um Marktmechanismen und -regeln zu verändern.
  4. Etablierung von Allianzen im Umfeld von kuratierten, industrialisierten oder standardisierten Immobilien, Software-Lösungen, Sensorik, Daten und Technologien, um für die Plattformteilnehmer einen deutlichen Wettbewerbsvorsprung zu schaffen.

Während eine Plattform die Kombination verschiedener Dienstleistungen und Produkte deutlich erleichtert, um letztlich den Bedarf von Kunden schnell und passend zu decken, können Unternehmen der Immobilienbranche ihre Kernkompetenzen durch Allianzen, Kooperationen und gezielte Kollaborationen ausbauen.

Beispiele für Plattformen in der Immobilienwirtschaft

In der Immobilienbranche etablieren sich nun ebenfalls seit einigen Jahren moderne Plattformmodelle. Neben den Plattformriesen aus China wie Alibaba, Tencent oder JD.com gibt es einige interessante vielversprechende Ansätze:

  • WeWork, eine erfolgreiche Plattform, die neben der Etablierung von modernen und flexiblen Arbeitswelten, Startup-Coworking und Inkubation immer mehr Aspekte des Lebens und des Arbeitens mit einem umfangreichen Ökosystem auf ihrer Plattform anbietet;
  • Realconnex, eine moderne und vielversprechende Plattform, die ein umfassendes dynamisches Ökosystem aus den unterschiedlichen Aufgaben, Funktionen, Services und Produkten der Immobilienwirtschaft auf ihrer Plattform etabliert hat;
  • Lendinvest, die eine innovative schnelle Finanzierung mit Einbindung von unterschiedlichen Partnern aus dem Immobilienökosystem anbietet;
  • PeerStreet, die Investitionskredite auf ihrer Plattform mit zweiseitigen Märkten (Angebot und Nachfrage) für Häuser und Wohnimmobilien ermöglicht;
  • Eiddo, die ein intelligentes Ökosystem mit Käufern, Verkäufern und Leistungserbringern auf einer Plattform etabliert und Interaktionen ermöglicht;
  • Brickvest, die Investitionen für u. a. Private Equities, Projektentwickler und Asset Managers auf ihrer Plattform mit mehrseitigen Märkten ermöglicht;
  • Quintoandar, eine Plattform der dritten Generation, die als Drehscheibe für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Wohnungs- und Immobilienverwalter dient und dabei ein umfassendes Ökosystem etabliert hat;
  • Doozer, eine deutsche Plattform, die auf eine integrierte Plattform für Handwerksleistungen für die Immobilienwirtschaft fokussiert und Angebot und Nachfrage auf ihrer Plattform mit kuratierten Leistungen etabliert;
  • Immofred als ein interessanter Plattformansatz aus Deutschland setzt auf ein dynamisches Ökosystem, um die Bewirtschaftung privater Mietimmobilien mit den Aufgaben und Pflichten des privaten Vermieters über kuratierte Funktionen zu vereinfachen und zu automatisieren.

Strategien für die Umsetzung von Plattformen - Hoffnung ist keine Strategie!

Auch kleine Plattformen können mit Hilfe intelligenter Ecosystem-Interaktionen und -Netzwerkeffekte neue Märkte, Möglichkeiten und Geschäftsmodelle schaffen oder die Branche maßgeblich verändern. Geschäftsfelder werden möglicherweise ersetzt, verändert oder erneuert. Hierbei gibt es sowohl Chancen als auch Risiken. Ist das Plattformgeschäftsmodell ausgearbeitet, steht die Umsetzung an. Dabei gilt: Hoffnung ist keine Strategie!

Für die Umsetzung sind folgende Modelle denkbar:
  1. Ein eigenes Plattformgeschäftsmodell aufbauen: empfehlenswert für Unternehmen, die als Plattforminitiator und Vorreiter auf dem Markt Plattformmodelle etablieren wollen.
  2. Eine Plattform mit weiteren Partnern aufbauen: Dieses Modell ist geeignet für Plattforminitiatoren, die im Vorfeld komplementäre Elemente miteinander verbinden und eine gemeinsame Strategie verfolgen.
  3. Bestehende Plattformen als Absatzkanal nutzen: Grundsätzlich empfiehlt es sich, dass jedes Unternehmen die existierenden Plattformen als einen weiteren Absatzkanal im Rahmen der Absatzkanalstrategie nutzt.

Plattformen bieten also Chancen, klassische Geschäftsmodelle zu ergänzen und innerhalb einer Branche zum Nutzen aller zusammenzuarbeiten. Wer früher beginnt, hat bessere Chancen, den Veränderungen der Märkte aktiv entgegenzutreten und diese mitzugestalten.